Die Corona-Epidemie und die Existenzsicherung der Bürger*innen

Offener Brief der ALSO

Den gesamten Brief gibt es hier als pdf zum Download.

Die Corona-Epidemie und die Existenzsicherung der Bürger*innen

Täglich scheint sich die Lebenssituation der Menschen in Deutschland zu verändern. Schon vor Tagen hat die Bundesregierung versprochen, alles Mögliche zu tun, um die Unternehmen vor einer Insolvenz zu retten. Vieles wird dafür getan bzw. angekündigt und das ist auch gut so. Aber was ist mit den normalen Bürger*innen?

Millionen von Menschen sind auf Sozialleistungen angewiesen. „Hartz IV“, Sozialhilfe und anderes wie BAföG, Kindergeld, Kinderzuschlag usw. Und es ist damit zu rechnen, dass zigtausend Menschen in den nächsten Tagen und Wochen dazukommen. Freiberufler*innen, Künstler*innen, Honorarkräfte, Leiharbeiter*innen, Beschäftigte in der Probezeit oder von sog. Subunternehmen verlieren ihre Aufträge bzw. Verträge und stehen oft bald ohne Geld zur Finanzierung ihrer Lebenshaltungskosten da. Firmen werden ihre Mitarbeiter*innen entlassen, z. B. massenweise in der Gastronomie. Die dafür zuständigen Ämter sind weitgehend geschlossen.

Am Beispiel der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II = Hartz IV) sollen hier einige der Problemlagen aufgezeigt werden. Es ist zu begrüßen, dass die Ämter weitgehend geschlossen werden und somit die Infektionskette möglichst unterbrochen wird. Die Ankündigung, dass keine Meldeversäumnisse sanktioniert werden, ist ein richtiger Schritt. Auch der Hinweis, dass die Leistungen weiter gezahlt werden, ist zu begrüßen – allerdings sollte das selbstverständlich sein.

Es wird so dargestellt, als ob Telefonkontakte die meisten Probleme lösen könnten. Die Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (ALSO) und bundesweit zig andere Beratungsstellen haben spätestens seit Einführung von Hartz IV ganz andere Erfahrungen gemacht.

Absolut offen bleibt, wie mit Neuanträgen umgegangen wird - mit denen in großer Menge zu rechnen ist (s. o.). Ein Onlineangebot ist für viele Betroffene eine unüberwindbare Härte. Selbst einen Antrag auszudrucken, dafür fehlt vielen die Möglichkeit.

Offen bleibt auch, wie mit Weiterbewilligungsanträgen, nach Ablauf der Bewilligung, umgegangen wird.

In beiden eben genannten Fällen fordern die Leistungsträger (Jobcenter oder optierende Kommunen) oft zahlreiche Unterlagen nach (Kontoauszüge, Anlage Vermögen usw.). Wie soll das zügig bearbeitet werden, ohne dass die Bürger*innen in finanzielle Schwierigkeiten kommen?

Nicht nur bei Hartz IV, sondern auch in der Sozialhilfe, bei ausländerrechtlichen Angelegenheiten (Asylbewerberleistungsgesetz und anderes), beim BAföG, Kindergeld, Kinderzuschlag usw. wird über existenzsichernde Leistungen entschieden. Hier muss unbedingt und unverzüglich ein Verwaltungshandeln angelegt werden, das die Existenzsicherung aller Menschen in Deutschland gewährleistet.

Aus dem oben Genannten ergeben sich folgende Forderungen, um die Existenzsicherung aller zu garantieren:

  • (Erst-)Antragsstellung formlos ermöglichen. Dazu Hinweise zur erleichterten Beantragung und Bewilligung veröffentlichen.
  • Bereitstellung eines minimalen Antragsblattes, das frei zugänglich ausgelegt wird. Dies auch als mehrsprachiges Angebot.
    Eingangsbestätigungen sofort – und wenn es durch einen Briefschlitz gehandhabt wird. Oder: Bereitstellung öffentlicher, kostenfreier Faxgeräte zur Antragstellung usw.
  • Kurze Bearbeitungszeiten (max. 14 Tage) und Vermeiden von komplizierten Antragsstrukturen statt x-fachen Hin- und Herbriefverkehrs, womit Antragsbewilligungen vermieden werden.
  • Anerkennung von Ansprüchen, auch wenn die Voraussetzungen nicht 100-prozentig geklärt sind (z. B. nach Aufhebung von Arbeitsverträgen oder bei Vermutung von angeblichen Vermögen bei Lebensversicherern).
  • Einer „Verschwendung“ von Steuermitteln kann entgegengewirkt werden, wenn z. B. Hartz-IV-Leistungen nach § 41 a SGB II vorläufig entschieden werden, was häufig schon verbreitete Praxis der Jobcenter ist. So können später evtl. zu viel gezahlte Leistungen zurückgefordert werden.

Eine unbürokratische Lösung schlägt eine Petition auf change.org vor. „Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen durch die Coronakrise“. Hier wird „die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens von 800-1200 € pro Person für 6 Monate“ gefordert (https://tinyurl.com/grund6).

Wir erwarten von der Bundesregierung, der Bundesagentur für Arbeit, den Jobcentern, den optierenden Kommunen und allen anderen öffentlichen Trägern, die für die Grundsicherung im weiteren Sinne zuständig sind, schnelle und unkomplizierte Lösungen. Die Unterstützung von Unternehmen ist wichtig – aber: die finanzielle Existenzsicherung der Bürger*innen ist zwingend notwendig!

i. A. Siegmund Stahl

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